Kobels Kunstwoche 52 2025
Schließungen, Insolvenzen und Verkleinerungen von Galerien und Kunsthandlungen prägten auch das zweite Halbjahr. Der Markt befindet sich anscheinend in einer Konsolidierungsphase mit struktureller Schräglage. Vom „schleichenden Tod der zeitgenössischen Kunstgalerie“ spricht Keith Estiler Mitte August bei Hypebeast: „Eine wichtige Triebkraft hinter diesem Wandel ist die sich wandelnde Nachfrage nach verschiedenen Arten von Kunst. Die einst dominierenden 'Blue-Chip'-Künstler, Meister, deren Werke atemberaubende Preise erzielten, sind nicht mehr die einzigen, die das Sagen haben. Sammler wenden ihre Aufmerksamkeit zunehmend „Red-Chip“-Künstlern zu, einer neuen Klasse von Talenten, deren Wert eher auf viralem Hype und kultureller Relevanz als auf institutioneller Anerkennung beruht. Diese Künstler sind aus zwei Gründen attraktiv: Ihre Werke sind oft leichter zugänglich und erschwinglicher und sie bringen frische, vielfältige kulturelle Perspektiven mit, die für ein globales Publikum relevant und spannend sind.“
Susanne Schreibers Herz schlägt für das Rheinland, lässt sich ihrem Rundgang Anfang September über die DC Open für das Handelsblatt entnehmen: „Das Rheinland vibriert bis heute. Neu zugezogene, ambitionierte Galerien wie Gathering aus London, LC Queisser aus Tiflis, Josey aus Norwich beweisen die ungebrochene Anziehungskraft von Köln. Düsseldorf hat sich die Pariser Galerie Petrine ausgesucht für ihre erst im April eröffnete Dependance am Rhein. In beiden Metropolen bilden Kunsthochschulen den Nachwuchs aus, geben Sammler ihre Leidenschaft an die zweite und dritte Generation weiter, sorgen große Museen und Institutionen für Orientierung. Da fühlen sich neue wie alteingesessene Galeristen wohl.“
Die Krise des Kunstmarkts in Zahlen beschreibt der neue Artnet Intelligence Report (PDF). In ihrer darin enthaltenen Analyse malt Katya Kazakina ein düsteres Bild: „Die Kunstwelt befindet sich zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2025 in einer prekären Lage. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine große Galerie schließt: Blum, Venus Over Manhattan und Kasmin sind weitere prominente Opfer des Sommers. Kleinere Galerien geben diskret auf oder verkleinern sich. Jeder Fall ist anders, aber viele beklagen dasselbe: Die Fixkosten ruinieren die Geschäfte. Die Umsätze sind rückläufig. Es macht keinen Spaß mehr. Die Primärpreise sind untragbar. Große Sammler haben aufgehört, Kunst zu kaufen, oder ihre Ausgaben deutlich reduziert. Die nächste Generation ist nicht da, um die alte Garde abzulösen. Die Kunstwelt ist aufgebläht, und es gibt keinen einfachen Weg, um die Malaise zu heilen.“ Der Musikproduzent und Kunstsammler Jeff Magid, der auf Instagram in den letzten Monaten eine enorme Reichweite erlangt hat, vermutet daraufhin in einem seiner Videos, dass so viele Kritiker und Journalisten den Kunstmarkt niederschrieben, weil sie sich von der Welt der Reichen und Schönen ausgeschlossen fühlten.
Die Zinssenkung der Fed in den USA könnte eine Wende am Kunstmarkt bringen, spekuliert Daniel Cassady bei Artnews: „Joshua Greenberg, Geschäftsführer und Privatkundenberater bei der Bank of America Private Bank, schloss sich dieser Ansicht an, wobei er eine breitere Perspektive einnahm. 'Es ist ein Signal hinsichtlich der Richtung der Zinssätze', erklärte er gegenüber ARTnews. Nach einer Phase moderater Zinserhöhungen und Stabilität 'geht der Markt davon aus, dass ein Trend zur Senkung der Zinssätze eingesetzt hat'. Diese Erwartung hat psychologische Bedeutung, die sich oft in Marktbewegungen niederschlägt. In einem Umfeld steigender Zinsen, so Greenberg, seien Kunden möglicherweise weniger geneigt, Kapital in illiquide Vermögenswerte wie Kunst zu investieren. Wenn sie jedoch davon ausgehen, dass die Zinsen sinken werden, könnten sie sich eher zu einer Kreditaufnahme entschließen – zumal Kunstkredite in der Regel variabel verzinst und tilgungsfrei sind.“ Dabei könnte so ein kreditfinanzierter Boom ganz schnell nach hinten losgehen, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat. Denn steigen die Zinsen wieder, werden mit einem Mal viele Positionen liquidiert und überschwemmen einen ohnehin nicht mehr aufnahmefähigen Markt.
Düstere Aussichten für den Kunstmarkt im Ganzen beschreibt Scott Reyburn im Art Newspaper (evtl. Paywall): „Der jüngste Ansturm auf Aktien aus den Bereichen Kryptowährung, Technologie und KI könnte darauf hindeuten, wo Investoren leichtes Geld zu verdienen glauben. Aber was ist mit der seit jeher bestehenden Macht der Kunst als Statussymbol? Sicherlich ist das immer noch ein Grund, warum die Reichen auf Auktionen und Kunstmessen Geld ausgeben sollten? Vielleicht lässt sich aus Googles KI-Übersicht über die ultimativen Statussymbole für Reiche ein Einblick gewinnen, wie unsere Daten-Diktatoren Kunst betrachten. Aufgelistet sind Dinge wie Privatjets, Luxusautos, exklusive Reiseerlebnisse, luxuriöse Haustierdienstleistungen und sogar der „Bücherregalreichtum” einer kuratierten Bibliothek. Kunst wird nicht erwähnt. [...] Da haben Sie es. Der Handel sollte sich darauf konzentrieren, Kunst als Statussymbole an die reichsten und klügsten 0,01 % zu verkaufen, die, wie einflussreiche neoreaktionäre Denker wie Curtis Yarvin und Nick Land vorhersagen, über das, was von unserer Welt übrig bleibt, herrschen werden, sobald die Demokratie ausgerottet ist und die sogenannte Dunkle Aufklärung vorherrscht. Mit dem Verkauf von endorphinstimulierender Kunst zur Dekoration der Wände der postapokalyptischen Bunker von Tech-Milliardären ließe sich ein Vermögen verdienen. Bereit für die Art Basel Auckland?“
Ob das Anbandeln mit verwandten Industrien ein Rettungsring für die Kunst sein könnte, fragt Elisa Carollo im Observer. Nachdem sie die bekanntesten Kooperationen im Top-Segment abgearbeitet hat, schließt sie mit der entscheidenden Überlegung: „Wie Umfragen und Sammlerprofile gezeigt haben, beginnen viele Käufer der Generation Z und Millennials, die allmählich zum Kunstsammeln übergehen, oft mit anderen Kategorien von Sammlerstücken – Sneaker, limitierte Kleidungstücke und ähnliche Objekte. Dies unterstreicht das Potenzial für die Kunstbranche, von einigen Geschäftsmodellen und Storytelling-Strategien anderer hochwertiger, symbolträchtiger und erlebnisorientierter Branchen zu lernen und diese zu übernehmen, um ein neues, jüngeres Publikum aufzubauen und zu pflegen. Diese Chancen zu übersehen, erscheint zunehmend weniger als Vorsicht, sondern eher als Kurzsichtigkeit.“ Bahnbrechende Erkenntnisse vermittelt der Artikel nicht, doch kann offensichtlich nicht oft genug auf die Herausforderungen des digitalen Kunsthandels hingewiesen werden.
Ebenfalls neu eröffnet Colnaghi ein Standbein – in Saudi-Arabien. Das meldet Melissa Gronlund im Art Newspaper: „Colnaghi, einer der ältesten noch bestehenden Kunsthändler der Welt, wird nach einer Vereinbarung mit der saudischen Private-Equity-Firma Sarat Investment Holding im Wert von 10 Millionen saudischen Rial (rund 2 Millionen Pfund) einen Raum in Riad eröffnen. [...] Islamische Kunst und Artefakte sind jedoch ein wichtiger Bereich für Sammler in der Region, und laut einer lokalen Quelle wird Colnaghi voraussichtlich mit dem Verkauf in diesem Bereich beginnen.“ Damit verfestigt sich der Trend, dem Lockruf des Geldes an den Golf zu folgen, dem auch Glen Lowry, scheidender Leiter des MoMA, als zukünftiger Berater der Islamic Arts Biennale erlegen ist, wie Valentina di Liscia kritisch bei Hyperallergic bemerkt.
Erstaunlich geringes Echo in den einschlägigen internationalen Medien hat die letzte Hauptversammlung von Artnet vor seiner Privatisierung gefunden. Lediglich Daniel Cassady beruft sich Anfang Oktober bei Artnews auf meinen Bericht für das Handelsblatt: „Andrew E. Wolff, der laut boerse.de etwa 98,93 Prozent der Artnet-Aktien hält und auch die Konkurrenzplattform Artsy besitzt, wird als Interims-Geschäftsführer fungieren. Anfang dieses Jahres hatte Wolffs Beowolff Capital ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot für das Unternehmen abgegeben. Jan Petzel, Geschäftsführer von Wolffs Leonardo Art Holdings, sagte, er sei von Pabsts Rücktritt überrascht gewesen, aber froh, dass die Jahreshauptversammlung stattgefunden habe.“ Dabei dürften sich sowohl die Medienlandschaft der Kunstwelt wie auch der Onlinemarkt und vor allem die Kommodifizierung von Kunst dramatisch verändern, wenn der Eigentümer von Artnet und Artsy das Potential des Zusammenspiels der beiden Unternehmen ausschöpft.
Ein bisschen mehr Labubu wagen sollte die Kunstwelt, dann klappt es auch mit der Gen Z und dem Umsatz, glaubt Elisa Carollo vom Observer: „Jüngsten Umfragen zufolge hat der weltweite Markt für Sammlerstücke im Jahr 2025 einen Wert von über 496 Milliarden US-Dollar erreicht. Wenn die Kunstwelt einen Rückgang sowohl ihres Volumens als auch ihrer finanziellen Bedeutung vermeiden will, während sie darum kämpft, ihre Käuferbasis zu erweitern, dann könnte die einzige nachhaltige Strategie zur Förderung eines lebenslangen Engagements der nächsten Käufergeneration darin bestehen, Kunst 'sammelbarer' zu machen – zu unterschiedlichen Preisen und für verschiedene Lebensphasen.“ Das klingt wie der Ruf nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, um möglichst Viele zu erreichen. Aber ist es wirklich erstrebenswert, Museen mit Monumentalversionen des Merchandising-Nippes aus dem Museumsshop zu füllen?
Frauen sind die besseren oder zumindest spendierfreudigeren Sammler, lässt sich Ursula Scheers Bericht über den Art Basel and UBS Survey of Global Collecting 2025 in der FAZ entnehmen: „Der von wirtschaftlichen Unsicherheiten und geopolitischen Krisen heftig angeschlagene Kunsthandel kann seine Hoffnungen vor allem auf eine Gruppe setzen: kaufkräftige Kunstsammlerinnen, die etwa die Hälfte der von Clare McAndrews Team befragten Personen stellen. Im Jahr 2024 lagen dem 'Art Basel and UBS Survey of Global Collecting' zufolge die Ausgaben dieser Frauen für Kunst und Antiquitäten um 46 Prozent über denen der Männer. Führend sind Sammlerinnen in China.“ Auch nicht so gute Nachrichten hält die Untersuchung nach der Lektüre Daniel Cassadys von Artnews für Galerien bereit: „Diese Fluidität zeigt sich darin, wie Kunst den Besitzer wechselt. In den Jahren 2024–25 kauften 63 Prozent der Sammler direkt von Künstlern, gegenüber 27 Prozent zwei Jahre zuvor und 43 Prozent im Jahr 2022. Fast die Hälfte aller vermögenden Käufer nutzte dafür soziale Medien: 43 Prozent kauften in Ateliers, 37 Prozent gaben Werke in Auftrag und 35 Prozent kauften über Instagram-Links. Die alte Hierarchie – zuerst der Händler, dann der Künstler – bröckelt. Sicher, Galerien bleiben insgesamt der vertrauenswürdigste Kanal, aber die Umfrage ergab, dass der zweitbeliebteste Weg für Sammler nun der Direktkauf ist, eine Kategorie, die sich in nur einem Jahr mehr als verdoppelt hat.“ Ich habe den Report für das Handelsblatt gelesen.
Die Rolle von Kunst im Zusammenhang mit geopolitischen Ambitionen asiatiascher Staaten hat Hili Perlson für die taz untersucht: „Was treibt Usbekistan an, derart in zeitgenössische Kunst zu investieren? Das an Bodenschätzen reiche Binnenland hat Geld, ist seit 2015 Partner der Belt and Road Initiative, Chinas multinationalem Infrastrukturprogramm. Zwei der Hauptrouten verlaufen durch Usbekistan, auch alle vier Korridore der Gasleitung zwischen Zentralasien und China. Darüber hinaus öffnet sich Usbekistan dem Weltmarkt, wird zunehmend auch für europäische Unternehmen interessant. Laut Weltbank wuchs Usbekistans BIP im Jahr 2024 um 6,5 Prozent. Doch bleibt im Land die Menschenrechtsproblematik – obwohl die Kunstwelt in dieser Frage nicht gerade für ihre Integrität bekannt ist, ohne Bedenken zieht jetzt die Kunstmesse Art Basel auch nach Katar. Laut einem jüngeren Bericht der NGO Freedom House wird Usbekistan als 'unfrei' eingestuft.“
Kurz vor der Messe in Luxemburg hat Deloitte seinen 500 Seiten starken neuen Art & Finance Report (PDF_Download) veröffentlicht: „Vermögensverwaltungen müssen beachten, dass sich die Ansprüche der Sammler:innen an Kunst als Kapitalanlage derzeit wandeln, insbesondere bei den NextGen-Sammler:innen. Diese Gruppe priorisiert bei derKunstanlage zunehmend Werte wie Identität, Vermächtnis und kulturellen Impact. Die finanzielle Rendite hat demgegenüber für 72 Prozent dieser Generation geringere Bedeutung, und nur 52 Prozent nennen Rendite als ein Hauptmotiv (2023: 83%). Unter den Sammler:innen insgesamt steigt zugleich der Anteil derer, die ausschließlich kulturelle und emotionale Motive verfolgen, auf neue Höchstwerte. Vermögensverwaltungen sollten daher vermehrt in ganzheitliche Strategien investieren, mit denen sie unter anderem dem Bedürfnis nach kulturellem Impact Investment gerecht werden.“
Der Zusammenschluss dreier ohnehin schwergewichtiger Player eröffnet eine neue Dimension für den Begriff Megagalerie. Pace Di Donna Schrader heißt das neue Dickschiff laut einer Pressemitteilung. Robin Pogrebin erklärt in der New York Times: „PDS soll Anfang nächsten Jahres den Betrieb aufnehmen, im Sommer 2026 seine Räumlichkeiten eröffnen (an einem noch zu bestimmenden Standort) und im kommenden Herbst eine historische Ausstellung präsentieren (deren Thema noch nicht bekannt gegeben wurde). Mit Zugang zu den Ressourcen und Standorten von Pace in Los Angeles, London, Genf, Berlin, Seoul und Tokio – sowie zu seinem Hauptsitz in New York – plant PDS, auf den Beziehungen von Pace zu Nachkriegskünstlern und Nachlässen sowie auf seiner Geschichte auf dem Markt aufzubauen.“